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Die globale Klimakrise erfordert eine doppelte Strategie. Sie umfasst einerseits starke und schnelle Emissionsminderungen und andererseits die großflächige Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre.
Ein Zentrum für diese wichtige Innovation im Bereich der Kohlendioxidentnahme ist Deutschland. Das Land verfügt über eine lange Tradition in Umwelttechnologie und hoher Ingenieurskunst.
Planet2050 nahm vor Kurzem an der German CDR Tour teil. Sie ist eine wichtige Delegationsveranstaltung, die vom Deutschen Verband für negative Emissionen e.V. (DVNE) und Remove organisiert wurde.
Diese eindrucksvolle Tour brachte führende Vertreter aus Industrie, Politik, Wissenschaft und Investitionen zusammen. Gemeinsam erkundeten sie die wachsende Landschaft der Kohlendioxidentnahme in Deutschland und besuchten wegweisende Unternehmen wie Greenlyte Carbon Technologies (Direct Air Capture) in Duisburg, ZeroEx (Enhanced Rock Weathering) in Ochtendung, VivoCarbon in Kaarst and Pyreg (Biochar) in Dörth.
Im Verlauf der Tour erhielten wir direkte Einblicke in die innovativen deutschen Technologieunternehmen, die skalierbare und kosteneffiziente Verfahren der Kohlendioxidentnahme mit verschiedenen Methoden vorantreiben.
ZeroEx ist ein deutsches Technologieunternehmen, das sich auf verbesserte Gesteinsverwitterung spezialisiert. Diese Methode ist eine kosteneffiziente und skalierbare Möglichkeit zur dauerhaften Entfernung von Kohlendioxid.
Das zentrale Ziel des Unternehmens besteht darin, die komplexen wissenschaftlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit verbesserter Gesteinsverwitterung zu lösen. Dazu gehören insbesondere die genaue Überprüfung der im Boden gebundenen Kohlendioxidmengen auf landwirtschaftlichen Flächen sowie die Optimierung der Anwendung auf unterschiedlichen Bodentypen.
Was ist verbesserte Gesteinsverwitterung. Die Methode beschleunigt den natürlichen Prozess der Verwitterung von Gestein. Fein gemahlenes Gesteinsmehl wie Silikat oder Basalt wird auf landwirtschaftlichen Flächen ausgebracht. Wenn dieses Material mit Regenwasser reagiert, das Kohlensäure enthält, bindet es Kohlendioxid aus der Atmosphäre dauerhaft in Form von Hydrogencarbonaten. Diese Hydrogencarbonate werden über das Wasser in Flüsse und schließlich in die Ozeane transportiert, wo das Kohlendioxid über sehr lange Zeiträume stabil gespeichert bleibt.
ZeroEx entwickelt die ersten Projekte für verbesserte Gesteinsverwitterung in Deutschland. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit Partnern aus Bergbau, Landwirtschaft und Wissenschaft. Der Schwerpunkt liegt auf intensiver Forschung und der Entwicklung neuer Messtechnologien.
Diese Forschung ist entscheidend, um hochwertige und überprüfbare Zertifikate für die Entfernung von Kohlendioxid bereitzustellen. Unternehmen wie Bain and Company erwerben solche Zertifikate, um ihre Nachhaltigkeitsziele zu unterstützen und unvermeidbare Restemissionen auszugleichen. Die Anwendung bringt zudem Vorteile für die Landwirtschaft. Sie verbessert die Bodenqualität, erhöht den pH Wert und ersetzt herkömmlichen Kalk.
Greenlyte in Duisburg ist ein deutsches Unternehmen, das eine einzigartige Technologie der direkten Luftabscheidung entwickelt hat. Sie filtert Kohlendioxid direkt aus der Atmosphäre.
Das System nutzt einen effizienten chemischen Prozess mit geringem Energiebedarf. Er unterscheidet sich von anderen Verfahren, weil er gleichzeitig reinen Wasserstoff erzeugt. Dies geschieht durch Elektrolyse. Die Technologie reinigt sich selbst und ermöglicht es, die Schritte der Abscheidung und der Freisetzung von Kohlendioxid voneinander zu trennen. Dadurch kann das System auch dauerhaft mit erneuerbaren Energien betrieben werden, die nur zeitweise verfügbar sind.
Das hochkonzentrierte Kohlendioxid und der Wasserstoff dienen anschließend als Ausgangsstoffe für industrielle Anwendungen oder für synthetische Kraftstoffe wie elektro basierten nachhaltigen Flugkraftstoff. Sie können auch für die dauerhafte Speicherung von Kohlenstoff genutzt werden. Greenlyte möchte sowohl die Kosten der Kohlendioxidentnahme als auch die Kosten der Produktion grüner Moleküle deutlich senken.
Greenlyte hat seit der Gründung im September 2022 mehr als 45 Millionen US Dollar und 45 Millionen Euro an Finanzierung erhalten. Dazu gehört eine Runde von 10,5 Millionen Euro Anfang 2024 im Rahmen der frühen Series A sowie weitere Finanzierungen danach.
Die PYREG GmbH ist ein deutsches Technologieunternehmen im Bereich Netto Null und ein Pionier der Kohlendioxidentnahme durch nachhaltige Lösungen in der Abfallverwertung mithilfe von Pyrolysetechnologie.
Das Unternehmen als Maschinenhersteller mit patentierter Karbonisierungstechnologie wurde im Jahr 2009 als Ausgründung einer Universität gegründet. Mit seinen modularen Hightech Anlagen bietet das Unternehmen eine erprobte, skalierbare und kosteneffiziente Lösung für die sichere und dauerhafte Bindung von umweltschädlichem Kohlendioxid in Form von Pflanzenkohle. Gleichzeitig entsteht saubere erneuerbare Energie.
Das PYREG Verfahren eignet sich für eine große Bandbreite biogener Einsatzstoffe. Dazu gehören Klärschlamm, Gärreste, Gülle, Stallmist, Getreidereste, Rückstände aus der Lebensmittelverarbeitung, Schlachtabfälle, Stroh, Holzhackschnitzel, schnell wachsende Hölzer, Grünschnitt, Obstkerne, Nussschalen, Kompostabsiebungen und viele weitere Materialien.
Bei Klärschlamm, Gülle und ähnlichen Stoffen ermöglicht das PYREG Verfahren zudem die Rückgewinnung von wertvollem Phosphor. Die präzise Steuerung der Prozessparameter stellt eine schonende, aber vollständige Karbonisierung sicher. Gleichzeitig werden organische Schadstoffe wie Arzneimittelreste, PFAS und Mikroplastik zuverlässig zerstört. Mineralische Schadstoffe werden bei Temperaturen von bis zu 1000 Grad Celsius in der Brennkammer herausgefiltert.
Pyreg hat weltweit mehr als 60 Anlagen in Betrieb genommen. Dazu gehören Standorte in Europa, den Vereinigten Staaten und Asien, unter anderem in Taiwan, wo wir die Anlage während der Inbetriebnahme Ende 2024 besuchen konnten.
VivoCarbon ist die größte Organisation für Agroforstwirtschaft in Deutschland. Als gemeinnützige Organisation entwickelt sie Agroforstsysteme, die Landwirtschaft und Bäume miteinander verbinden, um langfristigen ökologischen und wirtschaftlichen Nutzen zu schaffen. Diese Systeme fördern Synergien zwischen Baumstreifen, Ackerflächen und Viehhaltung.
Fast die Hälfte der Landfläche Deutschlands besteht aus Ackerland und Grünland mit insgesamt rund 16,5 Millionen Hektar.
Agroforstwirtschaft könnte in Deutschland jedes Jahr bis zu 40 Millionen Tonnen Kohlendioxid binden und gleichzeitig ein produktiveres und nachhaltigeres Agrarsystem fördern. Es würde ausreichen, auf nur 10 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen Bäume zu pflanzen, um dieses Potenzial zu erreichen. Das entspricht in etwa den jährlichen Kohlendioxidemissionen von Schweden.
Bei VivoCarbon werden alle Projekte in Zusammenarbeit mit lokalen landwirtschaftlichen Betrieben umgesetzt und langfristig gemeinsam betreut. Nach etwa acht Jahren werden die schnell wachsenden Pionierbaumarten erstmals geerntet. Der gespeicherte Kohlenstoff wird dauerhaft in Materialien wie Bauholz erhalten. Die Wurzeln bleiben im Boden und die Bäume regenerieren sich auf natürliche Weise.
Seit dem Jahr 2024 wurden 180 Hektar Agroforstflächen in neun Projekten angelegt. Dabei werden 34000 Bäume voraussichtlich rund 4100 Tonnen Kohlendioxid über die Vertragslaufzeit binden. Die Quantifizierung des Kohlendioxids erfolgt nach DIN Normen. VivoCarbon verfolgt die Entwicklung des EU CRCF mit dem Ziel, künftig Methoden und Zertifizierungen der verpflichtenden Kohlenstoffentnahme einzuhalten.
RWE Power hat 80 Millionen Euro in den Bau einer CO2 neutralen Klärschlammverbrennungsanlage am Knapsacker Berg investiert.
Wenn die neue Anlage im Jahr 2026 in Betrieb geht, werden jährlich 180.000 Tonnen kommunaler Klärschlamm thermisch behandelt. Das Projekt sichert die langfristige Entsorgung des Klärschlamms aus den Kläranlagen der Region.
Diese neue Anlage benötigt keine Braunkohle mehr, die zuvor die erforderliche Heizenergie für die Verbrennung des Klärschlamms geliefert hat.
Der Klärschlamm kann eigenständig verarbeitet werden, weil er in der Anlage selbst mit der erzeugten Wärme vorgetrocknet wird. Die überschüssige Energie der Anlage wird an benachbarte Industriepartner und an die Stadtwerke Hürth als grüne Wärme geliefert.
RWE wird den biogenen Kohlenstoff aus der Klärschlammverbrennung abscheiden, verflüssigen und speichern. Dadurch wird das Projekt zu einem Verfahren der Kohlendioxidentnahme, genauer gesagt zu Bioenergie mit CO2 Abscheidung und Speicherung.
Weitere Projekte befinden sich derzeit in Planung, beispielsweise die Rückgewinnung von Phosphor, die ab dem Jahr 2029 gesetzlich vorgeschrieben sein wird.
Zusammengefasst zeigte die German CDR Tour von DVNE und Remove auf beeindruckende Weise die bemerkenswerte Innovationskraft Deutschlands und das starke Engagement für die Entfernung von Kohlendioxid.
Deutschland steht an einem entscheidenden Wendepunkt, um diese Technologien aus der Pilotphase in eine Anwendung im großen Maßstab zu überführen.
Die Bundesregierung kündigte im Juni die Absicht an, 476 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt für die Entwicklung von Kohlendioxidentnahme in den kommenden Jahren bereitzustellen. Außerdem wurde eine eigene Abteilung für Kohlendioxidentnahme eingerichtet. Wir haben hier einen Artikel dazu veröffentlicht.
Planet2050 wird diesen spannenden Weg weiterhin aktiv unterstützen und sich für die Umsetzung dieser wichtigen Klimaschutzlösungen einsetzen.
Im Rahmen unserer Ausschreibung für dauerhafte Kohlendioxidentnahme wurden 28 Projekte mit Sitz in Europa ausgewählt. Sie befinden sich derzeit in der Überprüfung. Weitere Neuigkeiten folgen in Kürze.
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